Acht Maßnahmen für die Amateurmusik
Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über eine Amateurmusiklandschaft, die in ihrer kulturellen Vielfalt weltweit einzigartig ist. Gemäß Musikinformationszentrum musizieren deutschlandweit rund 14,3 Millionen Menschen in ihrer Freizeit. Damit stellt die Amateurmusik neben dem Sport die größte Kulturbewegung in Deutschland dar.
Durch die Corona-Pandemie ist sie als anerkanntes immaterielles Kulturerbe allerdings existentiell bedroht. Das öffentliche Musikleben ist durch die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zwischenzeitlich vollständig zum Erliegen gekommen. Alle öffentlichen Konzert- und Musikveranstaltungen mussten abgesagt werden. Allein im Bereich der Amateurmusik fielen deutschlandweit täglich ca. 1.400 Veranstaltungen aus. Viele Vereine oder Personen wie Solo-Selbstständige, Dozent*innen und Dirigent*innen in der weiteren Wertschöpfungskette im Veranstaltungsbetrieb von Amateurchören und -orchestern sind in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Während der letzten zwei Jahre ist die musikalische Nachwuchsarbeit gänzlich abgebrochen.
Die Folge: Die künstlerische Qualität und kulturelle Vielfalt der Amateurmusikszene ist massiv bedroht. Die Amateurmusik kann nur durch eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung Ausdruck unserer starken Zivilgesellschaft bleiben. Als Lösungsvorschlag hat der Bundesmusikverband Chor & Orchester e.V. ein Maßnahmenpaket erarbeitet, welches im Folgenden vorgestellt wird.
Für weitere Informationen bitte auf die einzelnen Maßnahmen klicken.
Der Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) bzw. seine Vorgängerinstitutionen sind seit 1956 durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) bzw. deren Vorgängerinstitutionen gefördert. Nicht nur die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig der BMCO als Ansprechpartner für die gesamte Amateurmusik ist – neben der Weiterleitung von Corona-Hilfsgeldern setzt er anlassbezogene Programme wie z.B. MusikVorOrt aus BULE-Mitteln, oder das Förderprogramm B33TH0V3N…AND3RS zum 250. Beethoven-Jubiläum um, entwickelt Lösungen für Digitalisierung, Ehrenamtsqualifizierung und demografischen Wandel und ist nicht zuletzt Geschäftsstelle der Empfehlungsausschüsse der durch den Bundespräsidenten gestifteten Zelter-Plaketten und PRO MUSICA-Plaketten. Amateurmusik ist die größte Kulturbewegung Deutschlands. Der BMCO benötigt zur nachhaltigen Sicherung der Arbeit ab 2023 eine institutionelle Förderung in Höhe von mind. 900 TEUR. Die einmalige Erhöhung des Etats um 500 TEUR im Bundeshaushalt für das Jahr 2022 sollte verstetigt werden.
Bei den verschiedenen Bundeskulturfonds, die mit jeweils 2 Mio. EUR pro Jahr ausgestattet sind, ist die Amateurmusik bisher ausdrücklich nicht antragsberechtigt. Es soll daher in gleicher Höhe ein Amateurmusikfonds beim BMCO eingerichtet werden, welcher sich in Struktur- und Projekt-förderung unterteilt. In Anlehnung an die erfolgreich erprobte Struktur des Kompetenznetzwerks NEUSTART AMATEURMUSIK sollen die Mitgliedsverbände die Schwerpunktthemen der Förderung beschließen und diese über die Geschäftsstelle ausgereicht werden, gleichzeitig soll dezentral beschäftigtes Personal Lösungen für die Probleme von morgen entwickeln und den entsprechenden Wissenstransfer in die Fläche sichern.
Durch die lange Dauer der Pandemie konnten viele Musikvereine nicht verlässlich planen, daher wurden weniger Projekte beantragt als ursprünglich kalkuliert und nicht alle Hilfsgelder veraus-gabt. Bevor diese nun verfallen, soll die Szene in der Wiederaufbauarbeit mit Neustart-Mitteln gestärkt werden und die entsprechenden Bewilligungszeiträume von NEUSTART AMATEURMUSIK und IMPULS um weitere 6 Monate auf den 31.12.2023 verlängert werden.
Aktuell verbergen sich die Förderungen der Amateurmusik im Bundeshaushalt im Einzelplan der BMK im Bereich „Musik/Theater“: Einzelprojekte (Titelgruppe 684 21). Die Bedeutung der Amateurmusik soll auch durch die Sichtbarkeit eines eigenen Haushaltstitels abgebildet werden. Diese Forderung bleibt auch bestehen, falls der BMCO eine institutionelle Förderung erhält, weil auch die Förderungen der BMCO-Mitgliedsverbände wie z.B. das Deutsche Musikfest, das Deutsche Chorfest oder die Bundesmusikwoche 50+ über diesen Haushaltstitel zusammengefasst werden.
Vor der Pandemie fanden pro Jahr über 500.000 Veranstaltungen der Amateurmusik statt, welche aus Gründen des Urheberrechts bei der GEMA angemeldet werden müssen. Nach Aussage der GEMA entfiel auf die Amateurmusik aber dabei lediglich ein Umsatz von ca. 2 Mio. EUR (bei über einer Mrd. Gesamtumsatz der GEMA). Der BMCO möchte die Rechte der Urheber*innen schützen, gleichzeitig das Ehrenamt entlasten. Der BMCO fordert daher, dass im Gegenzug für eine elektronische Erfassung der Veranstaltungen durch seine Mitgliedsverbände und Übermittlung der aufgeführten Werke an die GEMA, keine GEMA-Gebühren für die üblichen Veranstaltungsformate der Amateurmusik durch die Vereine zu begleichen sind. Dies kann nach Ansicht des BMCO über Verwaltungseinsparungen auf Seiten der GEMA gegenfinanziert werden, die Komponist*innen würden also nicht weniger Geld erhalten. Gleichzeitig könnte neben der Entlastung des Ehrenamts damit auch eine aktuelle strukturelle Ungerechtigkeit ausgeglichen werden, denn aktuell bietet die GEMA gemeinnützigen Vereinen 15% „Kulturrabatt an“. Chöre und Orchester sind aber anders als ein Sportverein beim Vereinsfest nicht nur Musik-Konsument*innen sondern Produzent*innen, die zudem nicht gewinnorientiert arbeiten, während hingegen die GEMA-Tarife sich nicht zu kommerziellen Anbieter*innen unterscheiden.
Im Koalitionsvertrag wurde die Modernisierung des Zuwendungsrechts vereinbart. Der BMCO unterstützt dies ausdrücklich und hat auf Grund seiner langjährigen Expertise bei der Weiterleitung von Zuwendungen an Ehrenamtliche Antragstellende einige konkrete Vorschläge erarbeitet, z.B. für den Bereich der Jährlichkeit, der Finanzierungsarten, der Prüfquoten für die Mittelverwendung, die Nutzung von Zentralstellenmodellen und Rahmenvereinbarungen, Möglichkeiten der Digitalisierung und Bagatell-Grenzen bei der Verausgabungsfrist.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Bundesministerium des Innern (BMI) erarbeiten aktuell ein Demokratiefördergesetz, welches die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement in den Bereichen Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Engagementförderung schafft. Der BMCO unterstützt dieses Vorhaben und freut sich, dass die Zivilgesellschaft bereits bei der Entwicklung des Gesetzes zur Beteiligung aufgerufen wurde. Der BMCO fordert, dass die Zivilgesellschaft strukturell auch bei der Umsetzung dieses Gesetzes eingebunden und berücksichtigt wird.
Der Koalitionsvertrag setzt einen Schwerpunkt auf nachhaltige Veranstaltungswirtschaft. Der BMCO arbeitet hierzu bereits mit dem Goethe-Institut zusammen und möchte als Vertreter der durchschnittlich täglichen 1.400 Veranstaltungen der Amateurmusik seine Expertise in die entsprechenden Arbeitsgruppen einbringen.