Wir blicken in die Zukunft der Amateurmusik
Wir wollen, dass Amateurmusiker*innen stark und zuversichtlich in die Zukunft gehen. Deshalb haben wir im Blick, welche Themen auf uns zukommen könnten und was Vereine und Ensembles brauchen, um fit für die Zukunft zu sein. Dabei wollen wir dafür sorgen, dass Amateurmusiker*innen von künftigen Entwicklungen nicht überrascht werden, sondern ihnen immer einen Schritt voraus sind.
Hierzu haben wir uns mit unseren Mitgliedsverbänden intensiv mit der Rolle und Definition von Zukunft beschäftigt und speziell für die Amateurmusik einen eigenen Prozess zur Zukunftsvorausschau angestoßen und durchgeführt. Mittels der Foresight-Methode haben wir gemeinsam und strukturiert mögliche Zukünfte erarbeitet, um daraus konkrete Handlungsoptionen in der Gegenwart abzuleiten. Dadurch wird auch die „Future Literacy“ ausgeprägt – d.h. das frühzeitige und flexible agieren im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen. Foresight befähigt zum Gestalten von Möglichkeitsräumen. Veränderungen erfordern nämlich nicht nur Anpassung, sondern auch Gestaltung. Es geht also einerseits um die Zukunftsfähigkeit der Organisation, andererseits aber auch um deren Fähigkeit zur (Mit-)Gestaltung der Zukunft. (Foto: Unsplash/Greg Rakozy, Foto Header: Unsplash/Michal Mancewicz)
Ihr wollt euren Verein zukunftssicher aufstellen und wisst nicht wie ihr anfangen sollt? Mit unseren erarbeiteten Unterstützungsangeboten und dem Leitfaden zur Weiterentwicklung von Vereinen und Ensembles der Amateurmusik erhaltet ihr einen praxisnahen Leitfaden inklusive Schritt-für-Schritt Anleitung. Diese und noch viel mehr interessante Themen und Hilfestellungen rund um das Engagement, die Organisation und Best-Practice findet ihr unter www.frag-amu.de, das kostenlose Amateurmusikportal.
Grundlage für die Arbeit in der AG war das Forschungsprojekt Zivilgesellschaft 2031, gefördert und durchgeführt von DSEE, ZiviZ, dem Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung (ISI) sowie den Teilnehmenden der Workshopreihe zum Foresight-Prozess. Sie haben für ihre Forschungsarbeit zwei Instrumente der Zukunftsbetrachtung kombiniert: Prognosen, die von Expert*innen erstellt wurden, werden in einer strategischen Vorausschau von zivilgesellschaftlich Engagierten zu Szenarien konkretisiert. Die Materialien wurden in einem Werkzeugkasten aufbereitet mit dem Ziel, dass auch zivilgesellschaftliche Organisationen diesen Prozess der Zukunftsbetrachtung für ihren Tätigkeitsbereich durchführen können. (Quelle: ZiviZ 2031)
Der Foresight-Prozess gliedert sich in die folgenden vier Schritte, die mittels unterschiedlicher Erhebungsmethodik durchlaufen werden:
Die Arbeitsgruppe hat mehrere Umweltveränderungen in den Blick genommen und mittels verschiedener Entwicklungsannahmen wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen des Einflussfaktors auf die Amateurmusik diskutiert. Folgende vier Einflussfaktoren wurden dabei als besonders relevant betrachtet. Zu jedem der identifizierten Haupt-Einflussfaktoren für unsere Szene wurden positive und negative Trendannahmen für die Entwicklung gemacht.
Grundsätzlich zeigt sich eine wachsende Bereitschaft junger Menschen zum Engagement. Gleichzeitig streben viele Menschen künftig nach einer geringeren Arbeitsbelastung. Bildung ist ein wesentlicher Faktor für das Wohlergehen der Menschen, allerdings ist der Zugang zur Bildung stark von finanziellen Ressourcen abhängig. Private Bildungsmöglichkeiten sind nicht für alle gleichermaßen zugänglich. Hier können Engagement und Ehrenamt Schlüsselfunktionen einnehmen, um mehr (oder allen) Menschen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. (Foto: ZiviZ 2031)
Weniger Zeit für mehr Aufgaben: Wenn Engagierte in einem gleichbleibenden Zeitmaß eine zunehmende Zahl an Aufgaben erledigen müssen, kann dies zu Überlastung, Stress und Erschöpfung führen. Die steigenden Anforderungen und Verpflichtungen können dazu führen, dass Engagierte ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen und ihre Gesundheit gefährden. Zählt das Engagement bereits zu dieser hohen Zahl an Aufgaben, dann verursacht es Überlastung – was die Amateurmusikszene natürlich nicht möchte. Andererseits ist das zivilgesellschaftliche Engagement eine der Aufgaben, die man als erstes abgibt – so kommt es zu einem verminderten Einsatz für zivilgesellschaftliche Belange.
Mehr Engagierte und größere Bereitschaft: Wenn mehr Menschen bereit sind, sich zu engagieren, können Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt werden. Dies entlastet Einzelne und fördert eine nachhaltige Zusammenarbeit.
Leichtere Verfügbarkeit von Wissen: Durch die Bereitschaft zum Engagement und den Austausch von Erfahrungen wird Wissen leichter verfügbar. Engagierte können voneinander lernen und gemeinsam Lösungen finden.
Die wachsende Bereitschaft junger Menschen zum Engagement und die Verteilung von Aufgaben auf mehrere Schultern sind positive Aspekte. Gleichzeitig müssen wir die Herausforderungen wie Zeitknappheit und das Schaffen von breiten Zugängen zu (musikalischer) Bildung bewältigen. Die Stärkung des Ehrenamts und die Förderung des Demokratieverständnisses sind zentrale Ziele, um die Amateurmusik nachhaltig zu unterstützen.
Die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit in Deutschland nimmt immer weiter zu. So zeigt auch das persönliche Empfinden in Umfragen, dass zwei Drittel der Deutschen finden, dass es (eher) ungerecht in Deutschland zugeht. Ungleiche Verteilung von Ressourcen und Lebensbedingungen, wie z.B. Bildung, Wohlstand und Einkommen bedingen eine soziale Ungleichheit im Land. Dadurch werden die persönlichen Lebens- und Verwirklichungschancen beeinflusst. (Quelle: Statistica / Foto: ZiviZ 2031)
Zugang zu Musikinstrumenten: Die soziale Spaltung zeigt sich darin, wer ein Instrument erlernen kann. Menschen mit geringem Einkommen haben oft weniger Möglichkeiten, ein Instrument zu erlernen, da die Kosten für Unterricht und Instrumente hoch sind.
Schwierigkeiten bei der Erreichung aller Menschen: Finanzielle Barrieren können den Zugang zu Fortbildung, Aufführungsmöglichkeiten und kulturellen Ressourcen einschränken. Es wird eine größere Herausforderung, alle Menschen mit den Angeboten der Amateurmusik zu erreichen.
Geringe Bereitschaft für Engagement: Menschen mit niedrigem Einkommen haben oft mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen. Dies führt zu weniger Zeit und Energie für musikalisches Engagement. Die Bereitschaft, sich in Amateurmusikgruppen zu engagieren, nimmt ab, da ein zweiter Job und die damit verbundene finanzielle Absicherung wichtiger ist, als das musikalische Engagement.
Die soziale Spaltung beeinflusst somit nicht nur den Zugang zur Musik, sondern auch die aktive Teilnahme und das Engagement in der Amateurmusikszene.
Neue Angebote: Trotz der Herausforderungen durch die Spaltung entstehen neue Initiativen und Angebote. Diese zielen darauf ab, den Zugang zu Musik für alle Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Beispielsweise könnten gemeinnützige Organisationen oder lokale Gemeinden zusätzliche Musikprogramme anbieten, um die Kluft zu überbrücken.
Übungsleiter*innenpauschale: Eine finanzielle Aufwertung für Übungsleiter*innen könnte dazu beitragen, das Engagement in der Amateurmusik zu fördern. Wenn Menschen, die musikalische Aktivitäten leiten oder unterrichten, besser bezahlt werden, steigt die Motivation, sich in der Musikszene zu engagieren.
Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Menschen mit unterschiedlichem Einkommen gleiche Chancen haben, sich musikalisch zu betätigen. Die Amateurmusikszene sollte vielfältige Angebote schaffen, die für alle zugänglich sind. Das bedeutet nicht nur den Zugang zu Instrumenten und Unterricht, sondern auch die Berücksichtigung verschiedener Musikstile und kultureller Hintergründe. Um das Engagement zu fördern, sollten wir sicherstellen, dass Übungsleiter*innen fair bezahlt werden. Dies kann dazu beitragen, dass qualifizierte Personen ihre Zeit und Energie in die musikalische Bildung investieren.
Die aktuellen politischen Herausforderungen und die Zerfaserung der politischen Landschaft haben weitreichende Auswirkungen auf die Amateurmusik. Es entsteht eine große Unsicherheit und Vertrauensverluste in unsere Politik. Zudem gibt es immer mehr unterschiedliche Ansprechpartner*innen für die Zivilgesellschaft, was die Fortsetzung und das Voranbringen der Interessen der Amateurmusik nachhaltig erschwert. (Foto: ZiviZ 2031)
Zerfaserung der politischen Landschaft: Die zunehmende Ausdifferenzierung der politischen Landschaft erschweren es, geeignete Ansprechpartner*innen für die Belange der Amateurmusik zu finden. Die Vielfalt der politischen Akteure kann zu Ineffizienz und Unklarheit führen.
Unklare Verfügbarkeit von Fördermitteln: Die aktuelle politische Situation kann die Finanzierung der Amateurmusik unsicher machen. Es ist oft unklar, welche Mittel zur Verfügung stehen und wie sie verteilt werden.
Kurzfristigkeit von Fördermitteln: Auch bedingt durch die Permanenz der Krisen und politischen Unsicherheiten sind Fördermittel häufig nur kurzfristig verfügbar. Projektgelder und politische Fördermittel werden oft nur kurzfristig und für befristete Projekte vergeben. Dies erschwert die langfristige Planung und Stabilität in der Amateurmusikszene.
Fokussierung auf kommunale Wirkbereiche und Verantwortung: Die Zerfaserung der politischen Landschaft macht eine Aktivität auf kommunaler Ebene sinnvoll. Hier entstehen neue Räume für Engagement. Die stärkere Schwerpunktsetzung der Arbeit auf kommunaler Ebene ermöglicht es, gezielt auf lokale Bedürfnisse und Herausforderungen einzugehen. Gemeinden können spezifische Angebote für die Amateurmusik schaffen und die kulturelle Vielfalt fördern.
Stärkeres Demokratieverständnis: Ein wachsendes Bewusstsein für demokratische Prozesse und Beteiligung zeigt, dass Engagement eine wichtige Rolle spielt. Menschen erkennen, dass sie aktiv gestalten können, was in ihrer Gemeinschaft passiert – auch im Bereich der Musik.
Die politischen Entwicklungen in Deutschland bringen sowohl Herausforderungen als auch Chancen für die Amateurmusik mit sich. Die Zerfaserung der politischen Landschaft erschwert die Suche nach geeigneten Ansprechpartner*innen, während die Betonung auf kommunaler Ebene neue Räume für Engagement schafft. Der Bürokratieabbau bei der Vergabe von Fördergeldern sollte vorangetrieben werden. Ein stärkeres Demokratieverständnis fördert das Bewusstsein für die Bedeutung von Engagement in der Musikszene. Insgesamt sollten wir die Selbstverantwortung und Selbstwirksamkeit fördern, um die Amateurmusik trotz dieser Veränderungen weiterhin zu stärken.
Der demografische Wandel hat weitreichende Auswirkungen auf verschiedene Bereiche, und auch die Amateurmusik bleibt davon nicht unberührt. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland erhöht sich kontinuierlich. „Ein 65-jähriger Mann konnte 1871/1881 mit einer weiteren durchschnittlichen Lebenserwartung von 9,6 Jahren rechnen, eine gleichaltrige Frau mit 10,0 weiteren Lebensjahren. Nach der Sterbetafel 2020/2022 betragen diese Werte für 65-jährige Männer 17,6 Jahre und für gleichaltrige Frauen 20,9 Jahre.“ (Quelle: Destatis / Foto: ZiviZ 2031)
Generationswechsel und Wissensübergaben: Bedingt durch den demografischen Wandel gibt es weniger junge Menschen, die sich in der Amateurmusik engagieren können. Wir brauchen aber frische Ideen und neue Perspektiven, um uns weiterzuentwickeln.
Ältere Menschen, die über jahrzehntelange Erfahrung in der Amateurmusik verfügen, werden mit der Zeit nicht mehr aktiv sein können. Ggf. sterben sie auch, ohne die Expertise mit Methoden des Wissenstransfers an die folgenden Generationen übergeben zu können. Wenn wir es nicht schaffen, Wissensübergaben zwischen den Generationen zu ermöglichen, bedeutet das, dass traditionelles Know-how und kulturelle Praktiken der älteren Generationen verloren gehen könnten. Dieser Verlust an Expertise könnte zu einer Verringerung der musikalischen Qualität und Vielfalt führen.
Einschränkungen bei Mobilität, Stimme und Atmung: Mit zunehmendem Alter können körperliche Einschränkungen hinsichtlich der Mobilität auftreten, die die aktive Teilnahme an musikalischen Aktivitäten erschweren.
Aber auch den möglicherweise vermehrt auftretenden Einschränkungen bzw. Veränderungen des Stimm- und Atemgebrauchs muss mit veränderten Angeboten (und Fortbildungsmaßnahmen für die Ensembleleiter*innen) Rechnung getragen werden.
Zeitliche Ressourcen für das Ehrenamt: Gehen Menschen in Rente, haben sie vielleicht mehr Zeit, sich zu engagieren. Andererseits müssen ältere Menschen oft länger arbeiten, um ihre finanziellen Bedürfnisse zu decken. Dadurch bleibt weniger Zeit für musikalisches Engagement.
Finanzielle Herausforderungen: Der demografische Wandel führt zu einer alternden Gesellschaft, was wiederum Auswirkungen auf Rentenzahlungen und soziale Dienstleistungen hat. Die begrenzten finanziellen Mittel könnten dazu führen, dass die Kulturförderung, einschließlich der Amateurmusik, vernachlässigt wird, oder dass die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit in Konkurrenz zur Förderung von Arbeit für den verrenteten Teil der Gesellschaft steht.
Langjähriges Engagement erfahrener Menschen: Ältere Menschen, die über viel Wissen und Erfahrung in der Musik verfügen, engagieren sich oft langfristig in der Amateurmusik. Dies trägt zur Stabilität und Kontinuität der musikalischen Gemeinschaft bei.
Elterliche Entlastung durch Großeltern oder soziales Umfeld: Durch den demografischen Wandel können Großeltern eine wichtige Rolle bei der Kinderbetreuung spielen. Eltern werden in den Abendstunden entlastet, wenn Großeltern sich um ihre Enkel kümmern. Dadurch haben Eltern mehr Zeit für ihre eigenen Interessen, einschließlich des aktiven Musizierens. Da in der heutigen Zeit häufig eine große räumliche Entfernung innerhalb der Familie vorliegt, bauen sich Familien ein soziales Netzwerk (z.B. Freunde) zur Entlastung auf.
Wir müssen sicherstellen, dass das Wissen und die Erfahrung älterer Musiker*innen an die jüngere Generation weitergegeben werden. Frische Ideen und neue Perspektiven sind wichtig, um die musikalische Vielfalt zu bewahren und weiterzuentwickeln. Mit zunehmendem Alter können körperliche Einschränkungen auftreten. Wir sollten Angebote schaffen, die den veränderten Bedürfnissen älterer Musiker*innen gerecht werden – sei es in Bezug auf Mobilität, Stimme oder Atmung. Ältere Menschen, die über langjährige musikalische Erfahrung verfügen, sollten ermutigt werden, sich weiterhin aktiv in der Amateurmusik zu engagieren. Gleichzeitig können Großeltern eine wichtige Rolle bei der Kinderbetreuung spielen, um Eltern mehr Zeit für ihr eigenes musikalisches Engagement zu ermöglichen.
Auf Basis des Positiv- und Negativszenarios im Sinne des Foresight Prozesses haben wir die nachfolgenden Zielsetzungen und Handlungsoptionen für den Bereich Musik & Zukunft eruiert. Als dachverbandliche Aufgabe erarbeiten wir Lösungsansätze für die folgenden Zukunftsthemen:
In einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft kann die Musik eine wichtige Rolle einnehmen. Wir können hier unterstützend wirken. Das Ziel muss sein, alle Menschen mit der Amateurmusik zu erreichen. Das Erschließen neuer Zielgruppen soll dabei ein bewusster Vorgang werden. Als konkretes Mittel wurden Live-Veranstaltungen genannt, die die Fähigkeit haben, ein Gemeinschaftsgefühl zu produzieren, das vielfältigste soziale, räumliche und kulturelle Herkünfte überspannt.
Chancen und Hoffnung sehen wir in der jungen Generation. Wir müssen Wege finden, sie möglichst stark in unsere Arbeit einzubinden. Grundlage ist eine gute Wissensweitergabe und Wissensvermittlung.
Wir müssen wissenschaftliche Erkenntnisse und Trends (v.a. KI-Entwicklung) beobachten, um nicht von „neuen Themen“ überrumpelt zu werden.
Wir müssen die Amateurmusik gegenüber der Politik immer wieder ins Gespräch bringen, um hier gemeinsam geeignete Rahmenbedingungen zu erwirken und eine strukturelle und finanzielle nachhaltige Sicherung zu erlangen. Weiterhin müssen wir aktiv den Bürokratieabbau im Engagementbereich vorantreiben.
Musik ist ein noch vernachlässigter relevanter Faktor für die individuelle Gesundheit, hat großes Potenzial für die Demokratiestärkung und ist von großer Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir müssen das enorme Potenzial der Amateurmusik sichtbar machen.