Immaterielles Kulturerbe

Kulturtraditionen aktiv leben, kreativ weiterentwickeln und an nachfolgende Generationen weitergeben

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Musik, Tanz, Theater, Bräuche, Feste oder Handwerkskünste: Neben Gebäuden und Landschaften prägen vor allem immaterielle Kulturformen unser Land. Dieses kulturelle Erbe ist Ausdruck von Kreativität, vermittelt Kontinuität und Identität, prägt das gesellschaftliche Zusammenleben und leistet einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung. Immaterielles Kulturerbe wird lebendig gehalten, weitergegeben und weiterentwickelt. Träger immateriellen Kulturerbes wenden ihr Wissen und Können praktisch an und geben es von Generation zu Generation weiter.

Verzeichnis

Über 500 Formen des immateriellen Kulturerbes sind auf internationalen UNESCO-Listen verzeichnet. In Deutschland führt die Deutsche UNESCO-Kommission das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Es nennt aktuell 88 Kulturformen und neun Gute-Praxis-Beispiele und verdeutlicht, welch kulturellen Reichtum Deutschland zu bieten hat. Dabei handelt es sich nicht um eine Erfassung des „deutschen Erbes“, sondern von kulturellen Traditionen unseres Landes.

 

Hier ist seit 2014 Chormusik in deutschen Amateurchören eingetragen, seit 2016 auch instrumentales Laien- und Amateurmusizieren. Daneben zeigen weitere im Bundesweiten Verzeichnis eingetragene kulturelle Ausdrucksformen den hohen Stellenwert die Amateurmusik in Deutschland für das kulturelle Erbe.

 

Das Bundesweite Verzeichnis wird in einem mehrstufigen Verfahren von der Deutschen UNESCO-Kommission und verschiedenen deutschen staatlichen Akteuren erstellt. Die in das Verzeichnis aufgenommenen Kulturformen sowie ihre Träger stehen exemplarisch für die Kreativität, den Innovationsgeist und das Wissen der Gesellschaft.

Chormusik

Deutschland gilt als das „Mutterland“ der Chormusik. Menschen aller Schichten finden sich in Singvereinen, Singakademien, in Philharmonischen Chören, Lehrergesangsvereinen, Volkschören, Hochschul- und Universitätschören, Kantoreien  und Kirchenchören sowie Schulchören, Gospel- und Jazzchören zusammen, um miteinander zu singen, zu proben und Aufführungen zu gestalten.

 

Die Tradition der deutschen Amateurchöre ist eine seit tausend Jahren praktizierte kulturelle Ausdrucksform, die im religiösen Umfeld der Kirchen ihren Ursprung hat. Im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert wurden die deutschen Laienchöre zum Schwerpunkt bürgerlicher Musikkultur und lösten sich vom feudalen Umfeld. Mit dieser Emanzipationsbewegung leisteten sie einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung der bürgerlichen Gesellschaft und damit zur Demokratiebewegung.

 

Heute stellen sie das Rückgrat der Musikpflege und Musikausübung dar, ohne das die professionelle Musikausübung undenkbar ist. Die Amateurchöre sind zugleich die Basis des Musikpublikums, Nährboden für künstlerischen Nachwuchs und musikalischer Partner in Tausenden von Konzerten und Aufführungen aller Art. Die kreative Aneignung von Text und Musik sowie die künstlerische Vitalität der Menschen werden durch die Aktivität der Chöre mobilisiert. Gleichzeitig richtet sich die Praxis des Singens auf identitätsstiftende Gemeinsamkeiten und öffentliches Wirken.

 

Die Amateurchöre sind in Stand und Land engagiert und sorgen dafür, dass das Singen als Urform künstlerischen Ausdrucks aller Menschen ermöglicht und zugänglich gemacht wird. Die Arbeit in Kinder- und Jugendchören, das Engagement innerhalb von Seniorenchören, die Integration von Migranten und gesellschaftlichen Randgruppen gehören zum selbstverständlichen Alltag der Chöre und vernetzen ihre Arbeit mit wichtigen Aufgaben einer modernen, weltoffenen Gesellschaft.

 

Fest verbunden mit der Tätigkeit der deutschen Amateurchöre ist die Pflege eines wertvollen kulturellen Schatzes. Mit der Chormusik verfügen die deutschen Amateurchöre über ein Repertoire, das untrennbar mit ihrer Wirksamkeit und Entstehung verknüpft ist. Kulturelle Tradition, gesellschaftlicher Aufbruch und lebendiges Engagement verbinden sich bei der Pflege der Chormusik in den deutschen Amateurchören. Sie stellen einen Kern der Musiktradition, des Musiklebens und der Musikpflege in Deutschland dar.

 

Chormusik in deutschen Amateurchören ist eingetragen im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes seit 2014.

Mal ganz konkret

 

„Kulturtalente“ in ganz Deutschland prägen und gestalten das Immaterielle Kulturerbe. Sie erhalten kulturelle Traditionen durch Anwendung und Weitergabe ihres Wissens und Könnens.

 

Im einem Interview berichten die Leiterin des Universitätschors Dresden Christiane Büttig sowie die Chorsängerin der Singakademie Dresden und Studentin der Mathematik an der TU Dresden Laura Müller, wie das gemeinsame Proben und Auftreten ein Gefühl von Zusammengehörigkeit schafft und welche Faszination die Beschäftigung mit der eigenen Stimme ausübt.

 

Interview mit den „Kulturtalenten“ Christiane Büttig und Laura Müller

Instrumentalmusik

Das instrumentale Amateurmusizieren in Deutschland zeichnet sich durch eine Vielfalt und Breite aus, welche alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt und die kulturelle Identität Deutschlands prägt. Heute spielen rund neun Millionen Menschen in Deutschland in ihrer Freizeit ein Instrument.

 

Die Bandbreite reicht von A wie Akkordeon bis hin zu Z wie Zither, von Jazz-, Popular-, Kirchen- bis hin zur Volksmusik. Eine Vielzahl der Orchester hat ein hervorragendes musikalisches Niveau, das in Wettbewerben und Konzerten immer wieder unter Beweis gestellt wird. Die Vielfalt entwickelte sich aus der kleinstaatlichen Verfasstheit Deutschlands im 17. und 18. Jahrhundert. An den Fürsten- und Königshöfen musizierten zunächst die Herrscher selbst oder ihre Kammer- und Saaldiener – also Laien.

 

Heute sind die meisten Laienorchester in Vereinen organisiert und haben daher nicht nur bezogen auf Kunst- und Traditionspflege, sondern auch unter gemeinschaftsbildenden wie auch jugendpflegerischen Aspekten einen anerkannt hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert. So sind z.B. Musikvereine nicht nur als Orte der Musikpflege zu verstehen, sondern auch als Institutionen kultureller Bildung sowie sozialer und kommunikativer Repräsentanz. Darüber hinaus bilden die Orchester einen Nährboden, auf dem Begabungen wachsen, Talente entdeckt sowie in vielen Fällen Voraussetzungen für den späteren Beruf eines Musikers erworben werden.

 

Die Amateurmusik hält nicht nur an Überlieferungen fest, sondern entwickelt sich ständig weiter und setzt sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander. Zusammen mit den vielen neuen Bewohnerinnen und Bewohnern in Deutschland kann Musik etwa als interkulturelle Verbindung genutzt werden und durch gemeinsames Musizieren ein gemeinsames Verständnis füreinander geschaffen werden.

 

Instrumentales Laien- und Amateurmusizieren ist eingetragen im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes seit 2016.

Weitere Ausdrucksformen

„Chormusik in deutschen Amateurchören“ und „Instrumentales Laien- und Amateurmusizieren“ sind zwei kulturelle Ausdrucksformen im Bundesweiteren Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Der Bundesmusikverband Chor- und Orchester e.V. ist hier als Trägerinstitution vermerkt. Darüber hinaus bestehen zahlreiche weitere Verzeichniseinträge aus dem Bereich der Amateurmusik.

 

Choralsingen

 

Das Choralsingen als eine spezifische Form des Chormusizierens ist eine Kulturpraxis mit Vorläufern im frühen Mittelalter. Weite Verbreitung in Deutschland fand es mit der Reformation in den 1520er Jahren in den protestantischen Kirchen und der damit verbundenen Emanzipation der Gemeinden: Das Singen war nicht länger nur den Priestern vorbehalten, sondern wurde von den Gemeindemitgliedern in der für jeden verständlichen deutschen Muttersprache praktiziert. Populäre Melodien „von der Straße“ fanden Eingang in neue Choralkompositionen, was zu einer großen Popularisierung von Choralmelodien und -texten in den verschiedenen Regionen Deutschlands beitrug.

 

Eingetragen im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes seit 2015

 

Sächsische Knabenchöre

 

Seit dem 13. Jahrhundert bestehen in Sachsen drei Knabenchöre mit der Hauptaufgabe, Gottesdienste musikalisch zu gestalten: der Thomanerchor an der Thomaskirche in Leipzig, der Kreuzchor an der Kreuzkirche in Dresden und die Dresdner Kapellknaben an der Kathedrale bzw. ehemaligen Hofkirche in Dresden. Der spezifische Klang des Knabenchors, bei dem die Sopran- und Altstimmen von Knaben, die Tenor- und Bassstimmen von jungen Männern gesungen werden, wurde seit dem 16. Jahrhundert von hochrangigen Musikern geleitet, die eigens dafür Werke schufen. Dies gilt für die Motetten und geistlichen Chorwerke des Dresdner Hofkapellmeisters Heinrich Schütz wie für die Kantaten und Oratorien des Thomaskantors Johann Sebastian Bach in Leipzig. Diese Tradition wurde in den folgenden Jahrhunderten fortgeführt.

 

Eingetragen im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes seit 2014

 

Posaunenchöre

 

Ein Posaunenchor ist ein mehrstimmiges Amateur-Blechbläserensemble, in dem alle Instrumente der Blechbläserfamilie zu finden sein können. Posaunenchöre unterscheiden sich von anderen Blechbläserensembles durch die variable Besetzung und ihren Schwerpunkt in der Pflege geistlichen Liedguts. Sie sind Markenzeichen der evangelischen Kirche und dennoch ist eine konfessionsübergreifende Mitwirkung möglich. Weiterhin zeichnen sich Posaunenchöre durch ihre generationen-, geschlechter-, und milieuübergreifende Mitgliedschaft aus. In über 6500 Ensembles musizieren heute in Deutschland etwa 115.000 Menschen.

 

Eingetragen im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes seit 2016

 

Amateurmusikpflege in Baden-Württemberg

 

Fast ein Drittel aller nicht-professionellen Musiker der gesamten Bundesrepublik stammt aus Baden-Württemberg. Ein bedeutendes lokales Ereignis ohne die unmittelbare Beteiligung eines Amateurmusikvereins ist in Baden-Württemberg praktisch undenkbar. Proben, Aufführungen, Traditionsfeste, Wettbewerbe, Workshops, Fort- und Weiterbildungen – die Liste der Vereinsaktivitäten ist lang und bundesweit vorbildlich.

 

Die Amateurmusik-Vereinskultur in Baden-Württemberg vereint sowohl die Erhaltung kulturellen Erbes mit künstlerisch-musikalischer Weiterentwicklung als auch die Bewahrung tradierter Strukturen bei gleichzeitig notwendiger Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen und Bedarfe. Die Pflege des musikkulturellen Erbes, die persönliche musikalische Weiterentwicklung in der Gruppe und die musikalische Geselligkeit am Wohnort bzw. in der Heimatregion dürften Hauptmotivation der meisten Vereinsmitgliedschaften sein. Dabei ist das generationsübergreifende Moment im Musikvereinsleben besonders bedeutsam und dient quasi automatisch der Weitergabe der kulturellen Ausdrucksform über Generationen hinweg und so der Vermittlung von Kontinuität. Dies zeigt sich konkret etwa in den flächendeckenden Konzertangeboten der Musikvereine für alle Altersgruppen oder an den vielfältigen Kooperationsprojekten, etwa mit (Grund-) Schulen, die jährlich bei einem landesweiten „Kooperationskonzert“ Ergebnisse der musikalischen und musikpädagogischen Arbeit präsentieren.

 

Als Beispiel guter Praxis der Erhaltung immateriellen Kulturerbes eingetragen im Bundesweiten Verzeichnis seit 2018

 

Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung

 

Die Lieder der deutschen Arbeiterbewegung sind seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart im Rahmen von Aktionen der Arbeiterbewegung sowie ihr nahestehender Bewegungen entstanden und gesungen worden. Sie sind Ausdruck von Benachteiligung und Unterdrückung lohnabhängiger Beschäftigter, aber auch von Gegenwehr, Kampfeswillen und Zukunftsgewissheit.

 

Die Lieder der Arbeiterbewegung stehen und standen in engem Zusammenhang mit anderen Kunstformen. Mit der musikalisch innovativen Aufnahme und Weiterentwicklung der Arbeiterlieder durch Kurt Weill, Hanns Eisler und Bertolt Brecht erreichten sie im deutschen Kulturraum eine hohe künstlerische Entwicklungsstufe, die international besondere Anerkennung erfahren hat. Zudem wurden die Arbeiterlieder in den zwanziger und den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Chanson verbunden.

 

Das Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung ist ein Beispiel dafür, wie Volkskultur in Deutschland immer wieder aus fortschrittlichen und demokratischen Ansätzen heraus neu gestaltet und interpretiert wurde. Sie sind über weite Strecken der deutschen Geschichte verboten und unterdrückt worden und konnten nur unter schweren Bedingungen aufgeführt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Lieder der Arbeiterbewegung in Deutschland zunächst wiederentdeckt und wieder erlernt werden. Auch heute noch zeigen sie Lieder der deutschen Arbeiterbewegung eine große Lebendigkeit, die, von den Medien weitgehend unbeachtet, etwa in der Neuentstehung von Liedern im Kontext von Streiks oder Auseinandersetzungen um Werksschließungen zum Ausdruck kommt. Sie spielten auch eine wesentliche Rolle für die Entwicklung der populären Chorbewegung.

 

Eingetragen im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes seit 2014

 

Sternsingen

 

Jedes Jahr um den 6. Januar (Dreikönigstag) ziehen überall in Deutschland Kinder und Jugendliche als Heilige Drei Könige von Haus zu Haus. Sie singen traditionelle und neue Sternsingerlieder und bringen den Menschen den Segen für das neue Jahr. Dabei sammeln sie Spenden für Kinderhilfsprojekte weltweit.

 

Die Zeichen „C+M+B“ mit Kreide auf den Türrahmen geschrieben, erinnern an die Namen der Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar und werden auch als Abkürzung für „Christus mansionem benedicat – Christus segne dieses Haus“ gedeutet. Das Liedgut der Sternsinger ist regional unterschiedlich und wird von Generation zu Generation tradiert.

 

Die kulturelle Ausdrucksform ist inspiriert von der biblischen Erzählung der Sterndeuter aus dem Matthäus-Evangelium. Der heutige Heischebrauch ist hervorgegangen aus den vielfältigen Dreikönigsbräuchen, die auf die Überführung der Gebeine der Heiligen Drei Könige nach Köln im Jahr 1164 zurückgehen. Quellen nach haben Kloster- und Chorschüler an Bischofssitzen, Klöstern und Stiften zur Mitte des 16. Jahrhunderts den Brauch eingeführt. Mit Kronen, Weihrauchfass und Stern zogen die Sänger bereits vor 350 Jahren umher, trugen überlieferte Sprüche und Lieder vor und baten um Gaben.

 

Eingetragen im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes seit 2015

Mal ganz konkret

 

Charlotte (13) aus Berlin begann bereits mit sieben Jahren mit dem Sternsingen. Als „Kulturtalent“ berichtet im Interview vom Ziel des Sternsingens, von ihrer Motivation mitzuwirken und von einem besonderen Höhepunkt: dem jährlichen Besuch der Sternsinger im Bundeskanzleramt.

 

Interview mit dem „Kulturtalent“ Charlotte