„Musikstadt ist mehr als nur eine Marketingidee“

Interview

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Bürgermeisterin Susanne Irion im Gespräch mit Dr. Stefan Donath

Trossingens Bürgermeisterin Susanne Irion (rechts) und BMCO-Geschäftsführer Dr. Stefan Donath (links) Ende März 2022 bei Ihrem Gespräch im Trossinger Rathaus.

Trossingens Bürgermeisterin Susanne Irion (rechts) und BMCO-Geschäftsführer Dr. Stefan Donath (links) Ende März 2022 bei Ihrem Gespräch im Trossinger Rathaus.

Frau Irion, Trossingen nennt sich selbst eine Musikstadt. Was macht Trossingen so musikalisch?

 

Wir haben ein historisch einmaliges, gewachsenes musikalisches Cluster. Mit der Harmonikaindustrie hat alles begonnen und heute bündelt sich hier eine ganze Anzahl ganz wichtiger, ganz unterschiedlicher musikalischer Einrichtungen, die enge Verflechtungen miteinander haben. Musik ist für uns nicht nur ein schmückendes Beiwerk, sondern eben auch ein „harter“ Standortfaktor. Die musikalischen Einrichtungen sind in Summe größter Arbeitgeber, der dafür sorgt, dass ein großer und erheblicher Teil unserer Bevölkerung hier in Lohn und Brot steht und Arbeit hat. Musikstadt ist für uns also wirklich mehr als nur eine Marketingidee. Musikstadt zu sein, hat für uns ideell, wie wirtschaftlich große Relevanz.

 

 

Mit dem neuen Kompetenzzentrum Amateurmusik Trossingen (KAT) bekommt ihre Stadt eine ganz neue Institution dazu. Was bedeutet das für die Musikstadt Trossingen?

 

Es ist natürlich eine wunderbare Ergänzung. Normalerweise findet Lobbyarbeit, die Sie als Verband ja letztlich betreiben, überwiegend im urbanen Berlin statt. Das Besondere am neuen KAT ist, dass wir Verbandsarbeit auf das Land, in die Fläche holen. Das ist eine wichtige Verbindung in die Politik, um eben auch den Bedürfnissen von Musikerinnen und Musikern auf politischer Ebene Gehör zu verschaffen. Es ist toll, dass das nun eben hier stattfindet, einerseits in einer Stadt, in der Musik so eine große Rolle spielt, andererseits in einem typisch ländlich geprägten Umfeld.

 

 

Können Sie kurz beschreiben, wie es zu diesem Bau kam bzw. wie die Stadt Trossingen daran beteiligt ist?

 

Wir haben beim Bau in erster Linie mit unserer Expertise die Bauherrenschaft übernommen. Das heißt, unser angestellter Architekten im Hochbauamt, Herrn Haller, macht die Bauaufsicht und überwacht den Bau vor Ort und stimmt sich mit den Architekten ab. Das bot sich an, weil wir eben diese Personalressource mit sehr viel Erfahrung in Bausachen hier vor Ort haben. Finanzielle Ressourcen dagegen konnten wir weniger beisteuern. Unser Beitrag war also das Einbringen von Personalressourcen und Expertise im Bereich öffentlicher Ausschreibung. Das haben wir gerne getan.

 

 

Welche Synergieeffekte erhoffen Sie sich durch die direkte Nachbarschaft des KAT mit der Bundesakademie?

 

Das hat bei der Standortwahl sicherlich eine Rolle gespielt, dass sich dort zwei bedeutende Institutionen, die bereits in der Vergangenheit eng zusammengearbeitet haben und direkt kooperiert haben, dort finden. Synergieeffekte gibt es also in jeden Fall. Zum einen natürlich aufgrund der Arbeit, die sie betreiben. Aber natürlich auch ganz praktische Dinge, wie die Unterbringung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Verbands oder von Gästen in der Bundesakademie oder der Möglichkeit dort ein Konzert oder eine größere Veranstaltung durchzuführen.

 

 

Die Amateurmusik spielt nicht nur in Baden-Württemberg seit jeher eine sehr große Rolle. Wie bewerten Sie die gesellschaftspolitische Bedeutung der Amateurmusik in Deutschland?

 

Amateurmusik ist vor allem im ländlichen Bereich ein Bindeglied in den vorwiegend kleinen Gemeinschaften. Ich war zuvor Bürgermeisterin in einer Gemeinde mit 2.300 Einwohnern. Es gab dort keinen Bäcker mehr, keinen Metzger und keine eigene Bank mehr – aber einen sehr vitalen Musikverein. Er hat im Dorfleben eine wichtige Rolle gespielt, die weit über Proben der aktiven Musiker und Konzerte für die Bevölkerung hinausging. Er war feste Größe für Veranstaltungen und betrieb ein wöchentlich geöffnetes Café als Anlaufstelle. Darüber hinaus übernehmen Musikvereine oft auch weite Teile der kommunalen Jugendarbeit. Damit haben sie eine Schlüsselfunktion in kleineren Gemeinden und sorgen für Zusammenhalt und Gemeinschaft.

 

 

Amateurmusik ist gerade in ländlichen Räumen ein Kulturfaktor, da es dort eben kaum größere Kulturinstitutionen gibt…

 

Das stimmt. Amateurmusik ist identitätsstiftend. Sie gibt Jugendlichen ein Zuhause, ein Gefühl von Zugehörigkeit und legt den Grundstein für Freundschaften, die ihnen ein Musikerleben lang erhalten bleiben und sie lässt auch danach keinen zurück. Egal wie alt oder dement Konzertbesucher auch sein mögen, an die Musik ihres Lebens erinnern sie sich auch dann noch, wenn Worte schon längst fehlen.

 

 

Wie ist ihr persönlicher Bezug zur Musik?

 

Aktiv bin ich nicht mehr, aber ich habe als Kind Geige gelernt. Das war mein erstes Instrument. Ich war leider nur mäßig begabt, aber dafür bin ich eine wirklich gute Zuhörerin geworden.

 

 

Welches Lied würden Sie sich für die Eröffnungsfeier des KAT wünschen und warum?

 

Das ist natürlich ganz klar: Das muss der Böhmische Traum sein. Das ist wirklich die Hymne für Amateurmusik, die auf jedem Fest und jeder Veranstaltung gespielt wird, ohne „Böhmischer Traum“ geht es auf dem Land einfach nicht. Er ist das „Wiener Schnitzel“ der ländlichen Amateurmusik.

 

 

Zum Abschluss würde ich noch einen Blick in die Zukunft wagen wollen. Welche Rolle spielt die neue Repräsentanz des Bundesmusikverbands in Trossingen für die Weiterentwicklung des Musikstandorts Trossingen?

 

Es wäre in jedem Fall wünschenswert, wenn dadurch die Verbindung von Musik und Stadt weiter gestärkt wird. Ich fände es zum Beispiel schön, wenn die Musiker*innen und Besucher*innen, die von außerhalb für ein Konzert oder ein Seminar zur Bundesakademie reisen auch die Stadt selbst entdecken und nutzen. Dass die Menschen, die der Musik wegen in die Stadt kommen, die besondere Geschichte von Trossingen auch erleben und kennenlernen. Vor allem auch, weil sich Trossingen durch die Wechselwirkung mit der Musik so anders entwickelt hat als viele andere Städte. Die Stadt hat in gewisser Weise einen ganz anderen Horizont; zwar leben wir hier wirklich in einer sehr ländlichen Region, aber dennoch können sie hier einen ganz anderen Geist erleben. Trossingen ist sehr viel offener und hat zum Beispiel auch eine größere Internationalität, die in der baden-württembergischen Provinz so vermutlich nicht erwartet wird.

 

 

Das Kunstwerk B ist dafür auch ein ganz gutes Beispiel…

 

Ja, genau. Denken Sie an Herrn Halder: Er war früher selbst Student hier und dann ist er irgendwann einmal zum Bürgermeister gegangen und hat gesagt, dass es doch schade wäre, das ehemalige Fabrikgelände der Weltfirma Hohner abzureißen. Könnte man daraus nicht eine Art Hostel machen? Er selbst ist kein gelernter Hotelier, sondern jemand, der eben aus der musikalischen Branche kommt und als Dirigent des Landespolizeiorchesters noch immer musikalisch aktiv ist. Dennoch hat er hier mit Ideenreichtum und Fleiß auch auf eine ganz andere  Weise Erfolg. Und diese Konstellation gibt es hier häufiger als anderswo.

 

 

Die Verbindung von Musik und Unternehmertum ist also quasi eine der Umsetzungen des Stadttitels „Musikstadt“?

 

Ja, auch. Und die Nähe zwischen den Einrichtungen, deren Kooperationen und Überschneidungen. Es ist wie ein kleiner Froschteich, irgendwie kennen sich alle und arbeiten zusammen und auch das macht uns eben genau zu dieser Musikstadt. Diese Art der direkten Zusammenarbeit, Nähe und Konzentration musikalischer Angebote und Unternehmen gibt es, glaube ich, weder in New York noch in Berlin.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch!