Über die Schaffung erweiterter Perspektiven im neuen Kompetenzzentrum für Amateurmusik Trossingen

Dorothee Pfeifer im Gespräch mit Dr. Stefan Donath

Dorothee Pfeifer im Gespräch mit Dr. Stefan Donath

Dorothee Pfeifer, Genius Loci II (2022) im Kompetenzzentrum Amateurmusik Trossingen.

Dorothee Pfeifer, Genius Loci II (2022) im Kompetenzzentrum Amateurmusik Trossingen.

Wie ist es als Künstlerin in der Musikstadt Trossingen zu arbeiten? Ergeben sich dadurch zwangsläufig Inspirationen oder die Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen?

 

 

Trossingen ist eine Musikstadt. Das merkt man allein aufgrund der vielen Institutionen im Musikbereich, die hier angesiedelt sind wie der Staatlichen Hochschule für Musik, der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung oder dem Hohner-Areal. Das schafft eine besondere Atmosphäre, weil dadurch natürlich Menschen angezogen werden, die selbst kreativ sind. Und sicherlich ergeben sich dadurch in besonderer Weise gemeinsame Projekte, etwa die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und dem Kunstsymposion Hofgut Hohenkarpfen.

 

 

 

Was war das für ein Projekt?

 

 

Der Hohenkarpfen ist hier in der Region ein bekannter Berg, der sich weit sichtbar über die Baar am Rande der Schwäbischen Alb erhebt. Der Berg hat sich in Millionen von Jahren herausgeformt – für das Projekt „LAND-SOUND-ART am mythischen Ort“ wurde er zum Schauplatz für ein interdisziplinäres Musik-Projekt der Staatlichen Hochschule. Es ging darum, die musikalischen Schätze des Hohenkarpfen zu entdecken. Dafür habe ich eine Schatzkarte gestaltet, die dem Publikum gewissermaßen den Weg weisen sollte – einen Weg über den Berg voller überraschender musikalischer Begegnungen.

 

 

 

Vom Bundesmusikverband wurden Sie beauftragt, sich künstlerisch mit dem neuen Kompetenzzentrum in Trossingen zu beschäftigen. Entstanden sind mehrere Arbeiten, die im Gebäude hängen und allen Mitarbeitenden und Gästen als sogenannte „Kunst am Bau“ begegnen werden. Wie sind sie dabei vorgegangen?

 

 

Ich war als erstes auf der Baustelle. Zunächst gab es die Idee meine Kunst mit den Plänen für die Außengestaltung zu verbinden. Mir wurde allerdings schnell klar, dass die Kunst ins Gebäude muss. Es sollte keine Konkurrenz zur architektonischen Außengestaltung des Gebäudes entstehen. Was die Standortwahl für meine Entwürfe betrifft, so habe ich mich auf das Treppenhaus konzentriert. Es ist für alle, die sich im Haus aufhalten oder von außen als Besuchende ins Haus kommen, ein wichtiger Knoten- und Verteilerpunkt. Schon vom Eingang aus wird dieser Bereich des Treppenaufgangs wahrgenommen. Er verfügt über große Wände, die sich gut bespielen lassen und eine gute Belichtung durch die großzügige Fensterfront und eine Glaskuppel haben.

 

 

 

Warum hat Sie der Außenbereich nicht auch interessiert?

 

 

Im Außenbereich dominieren Verkehrswege und Parkplätze, so dass sich Kunst dort nicht platzieren ließe. An der Kopfseite, dort wo die Fahrradständer eingeplant sind, wäre sie nicht sichtbar. Aber Kunst am Bau hat eine Botschaft und diese sollte eigenständig und weithin wahrgenommen werden.

 

 

 

Was ist Kunst am Bau für Sie?

 

 

Für mich verfügt Kunst am Bau über alle Möglichkeiten, in und außerhalb von Gebäuden formale und thematische Beziehungen zur Architektur, zur nutzenden Institution oder auch zur Geschichte eines Gebäudes aufzubauen. Oft markieren die Werke Eingangssituationen, bilden Blickachsen, arbeiten an und mit den Dimensionen von Gebäuden oder setzen der Architektur komplementär etwas entgegen. Kunst am Bau führt zu einer erweiterten Perspektive auf den Ort selbst, seine Ausstrahlung und seine Funktion. Meiner Meinung nach geht es allein bei den architektonischen Bauten natürlich sehr stark um Repräsentation, die Entwicklung eines Images von Gebäuden und Orten. Durch die ästhetische Aufwertung, die die Räume durch Kunst erfahren, soll ein sinnstiftender und identitätsbildender Bezug zwischen dem Gebäude, dessen Nutzer*innen und der Öffentlichkeit entstehen. Kunst am Bau hat für mich also eine zutiefst gesellschaftliche Aufgabe, denn sie ist auch Kunst für die Öffentlichkeit außerhalb eines vordergründig musealen Raums.

 

 

 

Wie sind Sie an die Ausgestaltung und Konzeption Ihrer Werke für das Kompetenzzentrum Amateurmusik herangegangen? Wie hat Sie das Gebäude selbst dabei geleitet? Und: Welche Gedanken haben Sie sich gemacht, als Sie gehört haben, welche unterschiedlichen Institutionen in dem Gebäude zusammenarbeiten werden?

 

 

Im Kompetenzzentrum werden drei Institutionen ansässig werden, die zwar unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte haben, aber durch die Musik und ihre Arbeit für die Amateurmusik miteinander verbunden sind. Die innere Atmosphäre des Hauses wird durch die zukünftigen Nutzer*innen selbst geprägt werden, durch deren Miteinander, deren Wirken und deren Strahlkraft nach außen. Für das Treppenhaus des Kompetenzzentrums habe ich daher vier verschiedene grafische Wandobjekte konzipiert, die im Zusammenspiel, einer Partitur gleich, ein mehrstimmiges Ganzes ergeben. Ich habe sie unter dem gemeinsamen Titel Genius loci I-IV zusammengefasst. Die Wandobjekte heben sich eigenwillig und lebendig von der funktionalen Architektur des Gebäudes ab. Jedes dieser Objekte soll auf seine Weise visualisieren, was den Geist des Ortes ausmacht. Sie thematisieren im Wesentlichen, was es heißt, wenn drei Institutionen unter einem Dach agieren und dadurch voneinander profitieren können. Die Wandobjekte machen in ihrer 4er-Konstellation deren Wirkungsweisen und Möglichkeiten sichtbar.

 

 

 

Welche Werke von Ihnen können die Besucher*innen des neuen Kompetenzzentrums Amateurmusik in der neuen Geschäftsstelle des Bundesmusikverbands vorfinden?

 

 

Meine geplanten Wandobjekte sind linear ausgeführte grafische Gestaltungen, d.h. freie Handzeichnungen und Schrift, überdimensioniert ausgelasert aus einem nicht brennbaren festen Material, jeweils monochrom farbig beschichtet. Sie schweben scheinbar vor der Wand und durch den Schattenwurf ergibt sich ein spannendes Wechselspiel zwischen Grafik und Objekt. Mir ist dabei wichtig, zu betonen, dass die Grundlage für die entstandenen Objekte tatsächlich eine freie Handzeichnung war, die natürlich eine gewisse Gestaltungskraft und eine künstlerische kreative Dimension vermittelt. Dieses Künstlerische ist auf diese Weise im neuen Kompetenzzentrum ganz präsent. Für alle wahrnehmbar spiegelt sich darin das Kompetenzzentrum als ein Ort der Kunst und Schaffenskraft.

 

 

 

Sie sprachen darüber, dass die Werke den Begriff „Genius loci“ tragen. Können Sie das näher erklären, beziehungsweise an 1-2 Beispielen andeuten, was wir uns darunter vorstellen können?

 

 

„Genius loci“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie der Geist des Ortes. Dieser Begriff beschreibt nicht nur bauliche Vorgaben und Merkmale eines Ortes bzw. Gebäudes, sondern auch dessen innere Atmosphäre und Aura. Eines der ersten und daher sehr präsenten Wandobjekte ist etwa die Arbeit genius loci I, welche sich Erdgeschoss am Beginn der Treppe befindet. Dabei handelt es sich um den Schriftzug „vernetzt“, einen Lasercut in pinker Farbgebung, der senkrecht links im oberen Drittel an die Wand montiert ist. Die Leserichtung ist von unten nach oben, das Wort ist handschriftlich ausgeführt und wirkt wie eine beiläufige Randnotiz auf einem Skizzenblatt.

 

 

 

Tatsächlich fällt der Schriftzug schon beim Betreten des Gebäudes durch die starke Farbigkeit auf hellem Grund deutlich auf. Als Betrachter habe ich sofort das Gefühl, hier passiert etwas, hier wird mit meiner Wahrnehmung als Besucher gespielt…oder anders ausgedrückt, es wurde antizipiert, dass ich dieses Gebäude betrete und erkunden soll…

 

 

Absolut, es ist ein ganz klares Statement und ein Bekenntnis an alle, die im Gebäude arbeiten oder als Besuchende das Gebäude betreten. Es adressiert die Arbeitsweise der drei Institutionen unter einem Dach, deren Kollaboration ja einen gegenseitigen Nutzen produziert. Es ist dieser Ort, der alle miteinander verbindet, ebenso wie die Musik als übergeordnetes Thema, als Antrieb und Aufgabe.

 

 

 

 

An welchem Punkt sehen Sie eine Verbindung zwischen Ihren Werken und ähnlichen Interaktionspraktiken in der Musik?

 

 

Das lässt sich vielleicht gut anhand der zweiten Arbeit Genius loci II veranschaulichen, die ebenso mit vielfach geschwungenen Linien arbeitet. Die zweite Arbeit befindet sich an der gleichen Wand in Höhe des Treppenhauspodestes. Sie ist in einem energetisch aufgeladenen neongelbgrün ausgeführt. Bei dieser Arbeit habe ich mich von dem Wort „Zentrum“ inspirieren lassen. Mehrere Linienknäuel, in unterschiedlichem Abstand auf der Wand angeordnet, sind durch Linien untereinander verbunden. Diese Linien enden frei, so dass die Arbeit nicht in sich geschlossen wirkt, sondern sich weiter ausdehnen könnte. Die Linien jedes Knäuels kreisen in unregelmäßigem Abstand um einen imaginären Mittelpunkt. Diese Arbeit wirkt durch ihre Farbigkeit und ihre Linienführung sehr dynamisch. Ich denke, dass dieses Auf und Ab der Linien auch an eine Visualisierung von Klängen erinnert.

 

 

 

Und auch die Verdichtung, das Zusammenkommen oder Zusammengeführtwerden lässt ja durchaus wieder Ideen zur kollaborativen Praxis im Gebäude aufkommen. Musik entsteht ja letztlich auch immer durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Beiträge und Energien…

 

 

Genau, jedes Linienknäuel steht allgemein für ein Projekt, die Linien symbolisieren Handlungsstränge. Bei einer Projektentwicklung steht ein Thema bzw. eine Aufgabe im Mittelpunkt der Betrachtung. Als Zentrum wird es umkreist, man nimmt unterschiedliche Perspektiven dazu ein. Bisweilen geht es auch schon mal chaotisch zu. Insgesamt handelt es sich um einen energetischen Prozess. Aber irgendwann ist das Ziel erreicht bzw. das Projekt abgeschlossen und eine nächste Aufgabe kann angegangen werden.

 

 

 

Vielen Dank für das Gespräch!