Interview mit Jochen Haußmann MdL und Johannes Wollasch
Herr Haußmann, der Deutsche Harmonik-Verband e.V. (DHV) ist intensiv mit der Musikgeschichte Trossingens verwoben. Welchen Beitrag leistet ihr Verband, damit es auch über die Grenzen der Musikstadt hinaus weiterhin musikalisch zugeht?
Vor 91 Jahren war die Geburtsstunde des Deutschen Harmonika-Verbands in Trossingen. Aus der Herzkammer der Harmonikamusik, der Musikstadt Trossingen, entstand der Impuls für unseren Verband und in der Folge für die Gründung vieler Vereine in ganz Deutschland, die von unseren 16 Landesverbänden betreut werden. Als Amateurmusikverband sehen wir es als unsere Aufgabe an, das musikalische Ehrenamt zu unterstützen und zu fördern. Dazu braucht es aber auch professionelle Ausbilder*innen sowie Notenliteratur. Deshalb ist auch für uns die Nachwuchsgewinnung sehr wichtig, sowohl in den Orchestern und Ensembles, als auch im Ausbildungsbereich. Wir bieten aber auch langjährigen Spieler*innen eine gute Perspektive, bis ins hohe Alter Musik zu machen. Ehrungen für 60- oder gar 70-jähriges aktives musikalisches Wirken sind imponierender Ausdruck der Faszination Harmonikamusik. Es ist eine ganz besondere Leistung der vielen tausend Ehrenamtlichen in unseren Vereinen, in den Bezirks-, Landes und im Bundesverband, dass wir in Deutschland ein herausragendes Engagement für die Harmonikamusik haben. Darauf sind wir sehr stolz und dankbar. Und wir freuen uns sehr darüber, dass wir einen Teil dazu beitragen, dass die Amateurmusik in Deutschland einen hohen Stellenwert hat.
Herr Haußmann, mit dem neuen Kompetenzzentrum Amateurmusik Trossingen (KAT) bekommt Trossingen eine ganz neue Institution dazu. Wie kam es zu der Idee, dass der DHV Teil des neuen Zentrums wird?
Schon als 2016 die ersten Überlegungen eines Kompetenzzentrums Amateurmusik entstanden, war der DHV mit im Boot. Das unermüdliche Engagement des heutigen BMCO-Ehrenmitglieds Ernst Burgbacher war es zu verdanken, dass das KAT realisiert wurde. Seine felsenfeste Überzeugung von der Notwendigkeit des KAT steckte alle Beteiligten für dieses Projekt an und ließ uns alle auch in schwierigen Phasen an die erfolgreiche Umsetzung des Projekts glauben. Der DHV hat sich von der ersten Stunde an mit dieser Projektidee identifiziert. Dafür bin ich unserem Präsidium und auch unserer Delegiertenversammlung sehr dankbar, dass wir hier immer die volle Unterstützung erhalten haben. In seiner historischen Verantwortung bekennt sich der DHV zum Standort Trossingen. Das KAT bot die einzigartige Möglichkeit, dies langfristig sicherzustellen.
Herr Haußmann, wie war der DHV in die Pläne des KAT involviert?
Der DHV war von Anfang an bei allen Planungsschritten beteiligt. Für das große Vertrauen danke ich dem BMCO. Wir haben schon lange vor den ersten baulichen Entwürfen auch die Gespräche auf politischer Ebene unterstützt. Es ist eine großartige Sache, dass Bund und Land die Idee und die Überlegungen zum Bau eines Kompetenzzentrums Amateurmusik von Anfang an unterstützt haben. Das lag sicherlich auch daran, dass wir mit dem Standort in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bundesakademie für musikalische Jugendbildung eine besondere musikalische und organisatorische Symbiose umsetzen konnten.
Herr Wollasch, das Kompetenzzentrum verspricht allein vom Namen her, dass sich hier unterschiedliche Akteure, deren Wissen und Kompetenzen bündeln. Wie können wir uns die praktische Zusammenarbeit im Haus zukünftig vorstellen?
Tatsächlich bündeln mit den Nutzer*innen des KAT drei Verbände des Amateurmusizierens sowie die Bundesakademie unterschiedlichste Kompetenzen und Personalstrukturen am Standort. Schon beim informellen Austausch auf dem Gang können dadurch in Pausengesprächen wertvolle Impulse für die Szene entstehen. Aber natürlich bieten das Gebäude und die benachbarten Räumlichkeiten der Bundesakademie viel kreativen Raum, in dem wegweisende Ideen und Konzepte entstehen können. Ich stelle mir hierbei eine deutlich engere inhaltliche Zusammenarbeit mit den Partner*innen im Gebäude und in Trossingen vor. Aber auch für die Einbindung weiterer Amateurmusikverbände und externer Partner*innen ist viel Platz vorhanden. Die gemeinsame Arbeit, die im Kompetenznetzwerk NEUSTART AMATEURMUSIK geleistet wird, kann nun hier im KAT persönlich vertieft werden, es können weitere Ideen und Visionen entstehen. Und das immer mit dem Blick für die gesamte Amateurmusiklandschaft.
Herr Haußmann, mit dem KAT erhält Trossingen eine ganz neue Kultur- und Musik-Institution dazu. Was bedeutet das für die Stadt, aber auch das Land Baden-Württemberg?
Die Musikstadt Trossingen erhält eine weitere Stärkung. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei der Stadt Trossingen sehr herzlich zu bedanken. Der damalige Bürgermeister Dr. Clemens Maier hat das Projekt von Anfang an auf besondere Weise unterstützt. Seine Nachfolgerin Susanne Irion hat nahtlos daran angeschlossen. Einfach sensationell war das Engagement von Alexander Haller, der für die Stadt die Projektsteuerung exzellent umsetzte. Das KAT sorgt dafür, dass der BMCO auch in Zukunft seinen Sitz in Baden-Württemberg hat. Davon profitiert die Amateurmusik im Ländle auf besondere Weise.
Herr Wollasch, welche Synergieeffekte erhoffen Sie sich durch die Zusammenarbeit mit anderen Verbänden im KAT aber auch durch die direkte Nachbarschaft mit der Bundesakademie?
Ich habe das Bild eines offenen Gebäudes vor Augen, in dem Vertreter*innen anderer Verbände und Institutionen des Musiklebens, Musizierende, Fachleute sowie Partner*innen aus der Musikbranche zusammenkommen, um gemeinsam an der Weiterentwicklung der Amateurmusikszene zu arbeiten. Dabei stehen stets die Bedürfnisse und Fragestellungen der Ensembles und Musizierenden vor Ort im Fokus. Denn zur Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen, die durch die Corona-Pandemie noch größer wurden, brauchen wir gute Ideen und eine umfassende Zusammenarbeit. Ich wünsche mir, dass wir die anstehenden Aufgaben gemeinsam angehen und so einerseits weiterkommen aber auch Freiraum für inhaltliche Arbeit und die Beratung der Mitglieder schaffen können. So erhoffe ich mir zum Beispiel, dass neue Weiterbildungs- und Begleitungsformate zum Thema Organisationsentwicklung entstehen, so dass wirkungsvoll auf die Fragestellungen der Amateurmusikensembles eingegangen werden kann. Denn es braucht zukunftsfähige und zielgruppenorientierte Strukturen in den Vereinen, damit diese den Trend des Mitliederrückgangs umkehren und personell aber auch inhaltlich wachsen können. Darüber hinaus wäre es schön, wenn wir uns unter den oben genannten Partner*innen auch im musikalischen Bereich gegenseitig bereichern könnten und sowohl in der Spielpraxis als auch in der Ausbildung voneinander lernen und Themen gemeinsam bewältigen können. Denn aktuell werden in jedem Verband zahlreiche Themen parallel bearbeitet und Ideen dazu geschmiedet. Ich glaube jedoch, dass wir gemeinsam noch besser, schneller und wirkungsvoller werden können.
Herr Haußmann, es ist sicherlich kein Zufall, dass das KAT in Trossingen entstanden ist. Welche Vorteile hat das?
Wenn man sich im Land umschauen würde, wo man das KAT realisieren könnte, würde man um Trossingen nicht herumkommen. Die Musikstadt hat nicht nur eine ganz besondere musikalische Geschichte, sie hat auch eine sehr gute musikalische Perspektive. Ich denke dabei beispielsweise an die Hochschule für Musik, an das Hohner-Konservatorium, an die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung, an die Hohner Musikinstrumente GmbH, an die hervorragende Musikschule und die wunderschönen Konzertsäle. Und Trossingen ist Sitz des BMCO, des DHV und des Hackbrett-Bundes. Es ist also alles andere als ein Zufall, dass das KAT hier entstanden ist.
Herr Wollasch, in ihrer täglichen Arbeit erleben Sie selbst, welche gesellschaftspolitische Bedeutung gemeinsames Musizieren gerade im ländlichen Raum hat. Warum ist es wichtig, die Amateurmusik in Deutschland weiter zu fördern?
In den Ensembles wird nicht einfach nur Musik gemacht. Es wird gemeinsam an einer Zielerreichung gearbeitet, es wird musikalische und gesellschaftspolitische Bildung geleistet und es wird echte Demokratie gelebt. Vereine sind Orte, an denen die Mitglieder fürs Leben lernen und geprägt werden. Hier werden junge Menschen mit sozialen Kompetenzen ausgestattet, die man kaum woanders erhält. Es werden belastbare Freundschaften geschmiedet und Strukturen der Zusammenarbeit im Echtbetrieb weiterentwickelt. Das fördert eine freie und tolerante Gesellschaft, in der alle Menschen zusammenleben können und wollen. Eine bekannte Volksweise heißt nicht umsonst: „Wo man singt, da lass Dich nieder, böse Menschen haben keine Lieder“.
Herr Haußmann, welches Lied würden Sie sich für die Eröffnungsfeier des KAT wünschen und warum?
Da denke ich an eine nette Geschichte zurück. Als ich 2018 nach unserem erfolgreichen Jugendwettbewerb, (mit?) dem Akkordeon-Musikpreis in Bruchsal heimgefahren bin, hörte ich am Sonntagnachmittag SWR 1. Man konnte sich telefonisch Musikstücke wünschen. Ganz spontan rief ich an und wünschte mir als Dank für alle Mitwirkenden von ABBA „Thank you for the music“. Und tatsächlich spielte der SWR eine Viertelstunde später das Stück. Das würde auch zur Eröffnungsfeier passen. Denn ohne Musik wäre es ganz schön leise – und es gäbe weder eine Musikstadt Trossingen noch ein KAT. Für die Musik setzen wir uns in unserem Ehrenamt gerne ein.
Herr Wollasch, nach den schwierigen Einschnitten der Corona-Pandemie möchte ich zum Abschluss gern für die Zukunft fragen, was es in Zukunft braucht, damit die Musik wieder richtig spielen kann?
Die vergangenen beiden Jahre waren für Kultur im Allgemeinen und die Amateurmusik im Speziellen eine enorme Herausforderung. Denn ohne ein physisches Zusammenkommen ist die Arbeit in unseren Ensembles schlicht unmöglich. Die Problematiken und Folgen sind bekannt. Wir haben in der Corona-Pandemie einen Aufwuchs an Förderprogrammen und -mitteln erlebt, wie man ihn sich nie hätte vorstellen können. Die zahlreichen Programme zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Amateurmusikszene waren enorm wichtig, um den Verlust einer ganzen Szene zu verhindern. Damit wir die durch die Pandemie noch größer gewordenen Probleme vieler Vereine wirkungsvoll beheben können, brauchen wir jedoch eine strukturelle Förderung. Wir müssen weg kommen von der Förderung kurzfristiger öffentlichkeitswirksamer Programme und beginnen, die dauerhafte Arbeit in den Vereinen und Verbänden zu stärken. Damit haben wir einen vergleichsweise viel größeren Hebel, da die Vereine befähigt werden, ihre Arbeit zukunftswirksam, zuverlässig und nachhaltig aufzustellen. Dabei sollte neben einer rein monetären Förderung auch die Unterstützung der Strukturen durch Vermittlung von Know-how Teil der Leistungen sein. Doch das geht nur, wenn auch die Dachstrukturen, also die Verbände und Bildungsträger, dauerhaft mit ausreichend Fachpersonal ausgestattet sind und so Strategien zur Bewältigung der Herausforderungen entwickeln und umsetzen können.
Herr Haußmann, haben Sie dem etwas hinzuzufügen? Woran fehlt es noch? Oder anders gefragt: jetzt wo sich die Amateurmusik quasi ein eigenes Gebäude geschaffen hat: was werden die nächsten Baustellen sein?
Johannes Wollasch hat das sehr gut beschrieben. Die Amateurmusik wird mit großer Leidenschaft mit vielen ehrenamtlichen Mitwirkenden getragen. Aber die Amateurmusik braucht professionelle Unterstützung. Die Welt ist auch in der Amateurmusik komplexer und wesentlich professioneller geworden. Mit dem KAT haben wir einen wichtigen Schritt in die Zukunft gemacht. Dies bringt uns auch Synergien. Stichworte wie Organisationsentwicklung, Digitalisierung und Unterstützung des Ehrenamts in den Vereinen sind große Herausforderungen. Uns werden die „Baustellen“ nicht ausgehen. Aber Amateurmusiker*innen sind Optimisten und kreative Persönlichkeiten. Wir sehen es auch als unsere gesellschaftliche Aufgabe an, junge und junggebliebene, aktive und fördernde Mitglieder für unsere Amateurmusik zu begeistern.
Vielen Dank für das Gespräch.