„Es ist auch Erwartungsmanagement nötig“

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Wie kann eine passende Wertschätzung für Engagement und Ehrenamt aussehen? Um Menschen zu unterstützen, die sich engagieren und ehrenamtlich einbringen, entwickelt der Bund zurzeit eine Engagementstrategie. Der Geschäftsführer des Bundesmusikverbands Chor & Orchester (BMCO), Dr. Stefan Donath, erklärt im Interview, warum bürgerschaftliches Engagement für unsere Gesellschaft so wichtig ist und wie der Beteiligungsprozess dazu gestaltet ist.

 

Lieber Stefan Donath, warum ist eine Engagementstrategie gerade jetzt wichtig?
Es gibt in Deutschland fast 29 Millionen Menschen, die sich freiwillig engagieren. Das ist eine enorme Zahl. 14,3 Millionen Menschen machen in Deutschland in ihrer Freizeit Musik – ein Großteil davon ehrenamtlich im Musikverein. Allein in unseren Verbandsstrukturen sind mehr als 100.000 Musikensembles zusammengefasst. All diese Menschen möchte der Bund mit der neuen Engagementstrategie sichtbarer machen und stärken. Das ist gerade jetzt umso wichtiger, da wir aufgrund vieler Krisen Verunsicherung erleben und aktuell mit gesellschaftlichen Fliehkräften zu kämpfen haben.

 

Engagement zu fördern, stärkt also automatisch die Demokratie?
Grundsätzlich ist bürgerschaftliches Engagement gelebte Demokratie: Menschen unterstützen ihren lokalen Musikverein bei der Organisation eines Konzerts, sie helfen Geflüchteten beim Ankommen und Behördengängen, lesen Kindern in der Freizeit aus Büchern vor oder organisieren im lokalen Sportverein ein Turnier – noch nie war das Engagement so facettenreich und bunt wie heute. Aber natürlich kann man sich auch für die falsche Sache engagieren. Engagement ist insofern nicht automatisch etwas Gutes. Wir sollten wachsam bleiben, genau hinschauen und uns darüber verständigen, welche Grundwerte von Engagement wir fördern wollen. Dennoch bin ich davon überzeugt: Wer sich engagiert, tut das meist mit anderen, steht im Austausch, bringt sich ein und liefert einen Beitrag zur Ausgestaltung unserer Gesellschaft. Auch die Digitalisierung fördert neue Formen, sich ehrenamtlich einzubringen. Es entstehen neue Dynamiken und Potenziale. Die passenden Rahmenbedingungen dafür müssen allerdings noch geschaffen werden.

 

Was soll eine Engagementstrategie des Bundes verändern?
Ich nehme wahr, dass aktuell viele Hoffnungen und Erwartungen an die neue Engagementstrategie geknüpft werden. Natürlich soll das freiwillige Engagement weiter erleichtert, die Rahmenbedingungen verbessert und dadurch die demokratische Widerstandskraft der Zivilgesellschaft gestärkt werden. Die Strategie konzentriert sich allerdings auf Themen, die in der Zuständigkeit des Bundes liegen. Deshalb ist auch Erwartungsmanagement nötig.

 

Wie das?
Es ist abzusehen, dass die Strategie eher abstrakt bleiben wird. Natürlich wäre es schön, wenn bestimmte Engagementbereiche oder besonders große wie die Amateurmusik darin Erwähnung finden würden. Davon ist aber nicht auszugehen, da die geplante Engagementstrategie eher übergreifend finanzielle Themen, Abstimmungsformate und im Besonderen das Verhältnis und die Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern thematisieren wird. Wichtig ist, denke ich auch, sich noch einmal vor Augen zu führen, dass die Strategie mit keinerlei Geldmitteln für neue Förderprogramme oder Ähnlichem versehen ist. Um es also auf den Punkt zu bringen: Die Enagementstrategie wird ein hohes Abstraktionsniveau haben.

Dr. Stefan Donath, Geschäftsführer des Bundesmusikverband Chor & Orchester. Foto: Christina Stivali

Dr. Stefan Donath, Geschäftsführer des Bundesmusikverband Chor & Orchester. Foto: Christina Stivali

„Die Beteiligung war enorm“

 

Wie genau soll die Entwicklung der Strategie erfolgen? Wer ist daran beteiligt?
Die Bundesregierung hat dazu die Zivilgesellschaft mit eingebunden. Im ganzen vergangenen Jahr lief der Beteiligungsprozess. Wir als Bundesmusikverband Chor & Orchester wurden dazu vom Ministerium angeschrieben und konnten konkrete Vorschläge einreichen, wie die Bundesregierung freiwilliges Engagement stärken und unterstützen kann. Aktiv daran beteiligt waren Dachverbände wie der Deutsche Kulturrat oder die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) und das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), die viele Vorschläge gesammelt und gebündelt haben. Die Beteiligung war enorm: Allein über die Online-Beteiligung „Von Euch. Für Alle“ der DSEE haben fast 7.000 Menschen mehr als 8.000 Ideen eingebracht. Es gab auch Veranstaltungen direkt vor Ort und Zukunftslabs, bei denen über die Zukunft des Engagements diskutiert wurde. Beim Bundesfamilienministerium und dem BBE sind außerdem fast 100 Stellungnahmen und Positionspapiere mit Empfehlungen eingegangen. Zusätzlich hat der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ des Deutschen Bundestags den Beteiligungsprozess mit Fachgesprächen intensiv begleitet.

 

Wie konkret war der BMCO daran beteiligt?
Als Bundesmusikverband haben wir unsere Mitgliedsverbände um Einreichungen gebeten und als Dachverband der Amateurmusik Anfang Juni 2023 eine Stellungnahme mit Empfehlungen beim Ministerium eingereicht. Ich persönlich war beim 8. Deutschen EngagementTag im Dezember 2023 in Berlin mit dabei, als dieser breite zivilgesellschaftliche Beteiligungsprozess seinen Abschluss gefunden hat. Am internationalen Tag des Ehrenamtes wurden die Ergebnisse in Berlin rund 500 Gästen aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien vorgestellt. Die Veranstaltung fand unter dem Motto „Gestärkt in die Zukunft! Engagementstrategie als Chance für die Stärkung von Zivilgesellschaft und Demokratie“ statt.
Ich selbst war als Kommentator zum Panel „Engagementstrategie: Wirkungsvoll – nachhaltig – resilient? Wie gute Engagementpolitik zu Entbürokratisierung und zu demokratiestärkenden Strukturen führt“ eingeladen. Dadurch hatte ich die direkte Möglichkeit, auf den Bericht zu den Ergebnissen der Beteiligungsprozesse einzugehen. Und natürlich stehen wir auch mit dem Fachreferat im Ministerium und Stefan Haddick als Leiter des Referats Grundsatzangelegenheiten Engagementpolitik im engen Austausch. Uns ist wichtig, unsere Anliegen wie die Entbürokratisierung des Zuwendungsrechts oder Ideen wie Qualifizierungsprogramme zum Ehrenamtsmanagement auch persönlich zu besprechen. Auffällig ist ja, dass viele Verbände und Initiativen im Engagementbereich ganz ähnliche Ideen und Vorschläge vortragen.

 

Wie geht es nach Abschluss des Beteiligungsprozesses weiter?
Im Jahr 2024 erarbeitet das Bundesfamilienministerium die Engagementstrategie unter Berücksichtigung der Empfehlungen aus der Zivilgesellschaft und stimmt sie innerhalb der Bundesregierung ab. Spätestens Ende dieses Jahres soll die neue Engagementstrategie vom Bundeskabinett beschlossen werden. Sie löst dann die bisherige Strategie aus dem Jahr 2010 ab, die nicht mehr zeitgemäß ist.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Donath.

 

Weitere Informationen zur Engagementstrategie und zum Beteiligungsprozess finden Sie auf der Webseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und auch auf der Website der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE): www.zukunft-des-engagements.de.