Musikalische Bildung für alle – Amateurmusik als Partner im Ganztag
Der Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) präsentiert ein neues Positionspapier zur Rolle der Amateurmusik im Ganztagsbereich.
Die Initiative setzt sich dafür ein, dass Chöre, Orchester und Musikvereine ein integraler Bestandteil der Ganztagsangebote werden, um musikalische Bildung umfassend und nachhaltig für alle Kinder zugänglich zu machen.
„Amateurmusik bietet Kindern einzigartige Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung. Die Zusammenarbeit in Chören oder Orchestern stärkt soziale Kompetenzen und vermittelt den Wert von Teamarbeit, Respekt und Kreativität“, betont BMCO-Präsident Benjamin Strasser MdB.
„Deshalb sollten diese Angebote Teil eines modernen, ganzheitlichen Ganztagskonzepts sein, das über reine Betreuung hinausgeht.“
Mit rund 100.000 Ensembles im ganzen Land ist die Amateurmusikszene breit aufgestellt und in jeder Stadt und jedem Dorf präsent – von Kinderchören über Zupforchester bis hin zu Kirchenchören. Als zentrale Bildungsakteure vor Ort kennen diese Ensembles die lokalen Gegebenheiten und bringen jahrelange Erfahrung in der musikalischen Gruppenarbeit mit. Sie bieten niedrigschwellige Zugänge zu Kultur und Musik und tragen dazu bei, soziale und wirtschaftliche Barrieren für Kinder und Jugendliche zu überwinden.
Der BMCO plädiert für eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Schulen und Musikvereinen, die durch kommunale Koordinationsstellen unterstützt wird. „Es geht darum, klare Qualitätsstandards für eine erfolgreiche Kooperation zu definieren und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen“, so der Verband. Um die Synergien bestmöglich zu nutzen, setzt sich der BMCO für die Bereitstellung von angemessenen Ressourcen ein: sowohl finanzielle Unterstützung als auch Räumlichkeiten für Instrumente und Proben.
Amateurmusik im Ganztag ist bereits vielerorts erfolgreich integriert. Zahlreiche Schulen profitieren von Kooperationsprojekten, bei denen Kinder im Rahmen von Bläserklassen, Streichergruppen oder Gesangsensembles gefördert werden. „Die Amateurmusik ist in Deutschland tief verwurzelt, und sie steht bereit, ihre Expertise in den Ganztagsbereich einzubringen – zum Vorteil aller Beteiligten“, bekräftigt BMCO-Präsident Strasser.
Weitere Informationen und das vollständige Positionspapier finden Sie hier:
Die Ausgestaltung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung nach § 24 Abs. 4 SGB VIII muss mit der Einbindung der Amateurmusik konzipiert werden. Schule und Musikensembles der Amateurmusik profitieren gegenseitig davon.
Das Singen in Chören und das Musizieren in Orchestern, Musikvereinen, Kirchengemeinden und anderen Ensembles ist ein wesentlicher Bestandteil der Freizeit von Kindern. Es leistet wichtige Beiträge zur Persönlichkeitsentwicklung, steigert die Resilienz und lässt die Selbstwirksamkeit spürbar werden.
Gemeinsames Musizieren schult Fähigkeiten, darunter den respektvollen Umgang miteinander und das einander Zuhören, welche als soziale Kompetenzen die Grundlage für eine funktionierende, demokratische Gesellschaft bilden.
Amateurmusik schafft niedrigschwellige Zugänge zu musikalischer Bildung und ermöglicht gerade als Teil der Ganztagsgestaltung, dass alle Kinder daran teilhaben können. Dieses Potential zukünftig noch stärker zu nutzen ist deshalb so wichtig, weil musikalische Bildung und Engagement häufig immer noch dem „Elite-Effekt“ unterworfen sind: Kinder aus Familien mit niedrigerem Einkommen und Bildungsgrad haben ungleich schlechtere Voraussetzungen und Zugänge zu Kultur[1]. Amateurmusik wirkt für alle besonders inklusiv, schafft neue Zugänge und garantiert Teilhabe.
Um gemeinsam Ganztagsangebote zu konzipieren, finden sich in den 100.000 Ensembles der Amateurmusik vielfältige geeignete Gesprächs- und Kooperationspartner*innen – unter den Musizierenden, den Ehrenamtlichen, den Vereinen, Verbänden auf Kreis-, Landes- und Bundesebene, die alle unter dem Dach des Bundesmusikverbands Chor & Orchester zusammengefasst sind. Diese Expertise ist über das gesamte Bundesgebiet verteilt, sie deckt vielfältige Interessen ab und sollte stärker genutzt werden.
Unsere Ensembles sind in jeder Stadt und in jedem Dorf tätig und zeigen sich in verschiedensten Facetten: Von Kinder- und Jugendchören, über Blasmusikvereine, Posaunenchöre, Zither- und Zupforchester, Kirchenchöre, Akkordeonorchester bis zu Gospel- und Konzertchören.
Die Amateurmusikszene ist geprägt von einer starken lokalen Anbindung, einem hohen Maß an ehrenamtlichem Engagement und vom verstärkten intrinsischen Interesse, die kulturelle Bildung der Menschen mit Angeboten zu unterstützen.
Die Ensembles der Amateurmusik leisten musikalische Bildung vor Ort, manchmal eigenständig mit einem vielseitigen und ausdifferenzierten Aus- und Fortbildungssystem und manchmal in Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Musikschulen und Schulen. Die Ensembles bieten nach dem Einstieg in die Schule Möglichkeiten für ein lebenslanges Musizieren.
Um Kindern eine musikalische Bildung außerhalb des schulischen Musikunterrichts zu ermöglichen und Ganztagsangebote sinnvoll und langfristig wirksam auszugestalten, sprechen wir uns für starke Kooperationen im Ganztagsbereich mit der Amateurmusikszene aus.
Was benötigt es dafür an Unterstützung?
Rahmenbedingungen und Kooperationen
Kooperationen und Vernetzung
Bei der Konzeption von Ganztagsangeboten ist es wichtig, ganzheitlich zu denken, die Amateurmusikszene von Anfang an einzubeziehen und aktives Musizieren als festen Bestandteil festzulegen und zu fördern.
Bestehende Netzwerke können und sollen unbedingt genutzt werden. Da, wo es noch keine gibt, muss Kooperationsbereitschaft eingefordert und gefördert werden – und das sowohl auf Seite der Schulen als auch der Musikvereine, Orchester, Chöre, weltlichen und kirchlichen Gruppen. Hauptamtliche Koordinationsstellen, eine kulturübergreifende Bündelung und Vernetzung auf kommunaler Ebene und die Bereitschaft der nachhaltigen Verankerung von personellen Strukturen sind dafür wünschenswert.
Einheitliche Qualitätsstandards für außerschulische Kooperationen sollten unter Berücksichtigung der Expertise von Musikvereinen, Chören, Orchestern, weltlichen oder kirchlichen Gruppen vor Ort entwickelt werden.
Qualitätsrahmen – inhaltlich und personell
Die Ganztagsförderung soll keine Ausweitung der klassischen Regelschule werden, sondern eine sinnvolle Ergänzung um non-formale und informelle Bildungsangebote darstellen.
Dafür braucht es inhaltliche Qualitätsstandards für Ganztagsangebote, die über eine bloße Betreuung der Kinder hinausgehen, die Expertise der kulturellen Bildung einbeziehen und die Möglichkeiten der Akteur*innen berücksichtigen. Dazu gehören praktikable Mindestanforderungen für Fachkräfte, die im Ganztag tätig sind und die Anerkennung der vorhandenen Qualifikationen.
Falls Zusatzqualifikationen für Ehrenamtliche erforderlich sind, sollten diese einheitlich formuliert und praktikabel gestaltet sein.
Rahmenbedingungen vor Ort – finanzielle, räumliche und strukturelle Ausstattung
Zu einer ganzheitlichen Planung von flächendeckendem Ganztag gehört die angemessene finanzielle Ausstattung aller Beteiligten – verlässlich, langfristig und nachhaltig.
Für die Nutzung bzw. Vermietung von Räumlichkeiten ist eine Anpassung der Schulbesuchsverordnung erforderlich, einschließlich einer Sensibilisierung für die Mehrfachnutzung von öffentlichen Räumen und im Besonderen von Fach- und Klassenräumen.
Auch die Nutzung bzw. Bereitstellung von Lagerräumen für Instrumente unter Berücksichtigung geltender Brandschutznormen sowie die generelle Möglichkeit der Instrumentenleihe erfordern finanzielle Zuwendung.
Im Sinne aller Beteiligten – an den Schulen und in den Vereinen – braucht es eine geeignete Verwaltungsorganisation, deren Rahmenbedingungen auf die Arbeit mit Ehrenamtlichen angepasst sind. Der bürokratische Aufwand muss so gering wie möglich gehalten werden.
Wir sind da. Wir sind bereit.
Beitrag der Amateurmusik für einen musikalischen Ganztag
Die kommunale Ebene ist für die Musikensembles der Amateurmusik – wie auch für die Schulen – das zentrale Tätigkeitsfeld. Vor Ort sind Musikensembles wichtige Bildungsakteur*innen, die in ländlichen Räumen oder in Städten aktiv sind und die lokalen Gegebenheiten kennen, Traditionen ebenso wie ihre Netzwerke pflegen. Sie bieten auch langfristig Möglichkeiten für das Musizieren in unterschiedlichen Ensembles und können durch kontinuierliche Proben auch nach dem Schulangebot ein soziales Umfeld und musikalische Weiterentwicklung garantieren. Diese Gemeinsamkeit sehen wir als ideale Voraussetzung, um mit einer gemeinsamen Zielsetzung die Entwicklung der Kinder zu fördern.
Dadurch, dass sich die flächendeckende Einführung des Ganztags auf die Teilnahme der Nachmittagsangebote außerhalb der Schule auswirken wird, ist es nur folgerichtig neue Angebote direkt zu den Kindern an die Schulen zu bringen. Und das stellt sowohl für die Kinder als auch die Lehrkräfte einen Gewinn dar. Denn in der Amateurmusik sind ausgebildete Fachkräfte tätig, die viel Erfahrung im Anleiten von Gruppen aller Altersklassen mitbringen, alternative Methoden und unterschiedliche Perspektiven auf Bildungskonzepte und die Vermittlung von Musik haben. Schon jetzt zeugen zahlreiche Positivbeispiele davon, wie Amateurmusik im offenen und gebundenen Ganztag stattfinden kann: Gemeinsames Singen oder das Erlernen von Instrumenten in Schulorchestern, Bläser- oder Streicherklassen und Musikfreizeiten, z.B. als modulare Angebote in Kleingruppen, gemeinsames Musizieren in Klassenstärke mit individuellem Üben oder auch als Ferienfreizeiten.
Dadurch, dass die Ensemblearbeit in den Musikvereinen, Chören, Orchestern, weltlichen und kirchlichen Gruppen in der Regel eine Gruppenaufgabe ist, bringen die Akteur*innen Erfahrungen in der Arbeit in multiprofessionellen Teams mit Haupt- und Ehrenamtlichen mit. Sie wissen, welche Angebote sie leisten können und welche Formate funktionieren. Einige Musikvereine verfügen außerdem über eigene Vereinsheime, die außerdem in die Kooperation einbezogen werden könnten.
Wenn eine Kooperation auf Augenhöhe stattfindet, und alle Beteiligten Raum und Ressourcen für eine gute Zusammenarbeit haben, können Ganztagskonzepte entstehen, von denen nicht nur die Kinder in der Schule profitieren, sondern auch die Schulen und die Musikvereine, Chöre, Orchester, weltliche oder kirchliche Gruppen selbst.
Beschluss der BMCO-Mitgliederversammlung am 09. November 2024
[1] Alscher, Mareike (2022): Sonderauswertung des Freiwilligensurvey 2019 zum freiwilligen Engagement in Kultur und Musik. In: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Kultur. Teilhabe, Beteiligung, Potenzial. Berlin, S.30